Abdruck des am 11.12.2020 erschienenen Artikels mit freundlicher Genehmigung des Patriot.
„Man lässt keinen Menschen ertrinken. Punkt“ – unter diesem Motto haben Lippstädter am Donnerstag mit 1319 Papierschiffen an die Menschen erinnert, die 2019 auf der Flucht im Mittelmeer ertrunken sind.
von Carolin Cegelski
Lippstadt – 1319 Schiffe aus Zeitungspapier stehen eng aneinandergerückt auf dem Rathausplatz. Die kleinen Boote stehen für Menschen. Menschen, die im vergangenen Jahr im Mittelmeer ihr Leben verloren haben. Laut Angaben der UNO-Flüchtlingshilfe sind es 1319 Leben, die durch ein Schiff hätten gerettet werden können.
Das Netzwerk für Frieden und Solidarität hat dazu aufgerufen, sich zum Tag der Menschenrechte an der Aktion der Evangelischen Frauenhilfe in Westfalen zu beteiligen. Schüler der Graf-Bernhard-Realschule, des Ostendorf-Gymnasiums, des Gymnasiums Schloss Overhagen und des Evangelischen Gymnasiums haben die vielen kleinen Boote gefaltet. Und auch das Bewohnerzentrum Am Rüsing, der Jugendtreff Shalom und viele Einzelpersonen haben Papierschiffe gebastelt. „Die Resonanz war gewaltig“, sagt Michael Tack, Sprecher des Netzwerkes für Frieden und Solidarität. „Wir mussten den Eifer stoppen“.
Um zwölf Uhr, mit dem ersten Schlag der Glocken der Marienkirche, stehen einige der eifrigen Bastler auf dem Rathausplatz. Mit Abstand, Mund und Nase hinter Masken versteckt. Sie sind gekommen, um den Toten im Mittelmeer zu gedenken.
„Man lässt keine Menschen sterben. Punkt“, erinnerte Netzwerksprecherin und Pfarrerin Margot Bell an den Satz der hannoverschen Pastorin Sandra Bils auf dem Kirchentag in Dortmund 2019. „Jedes Menschenleben ist wichtig und muss gerettet werden“. Sie rief dazu auf, das „Versagen der europäischen Staaten“ anzuklagen und so viele Geflüchtete wie möglich zu retten.
Michael Tack erinnerte derweil noch einmal an den Ratsbeschluss der Stadt Lippstadt zum Bündnis „Seebrücke“ (zu dem mittlerweile mehr als 200 Städte gehören) beizutreten. etwas mehr als ein Jahr ist es nun her, dass die Politik nach dem Bürgerantrag des Netzwerkes dafür stimmte, „ein Zeichen gegen das Sterben auf der Flucht zu setzen und Menschen in Not aufzunehmen“.
Franz Gausemeier machte als stellvertretender Bürgermeister deutlich, wie wichtig es ist, „an diese Menschen zu denken“. Niemand verlasse seine Heimat ohne Grund: „Die Menschen möchten ein menschenwürdiges Leben“, erinnerte Gausemeier. „Sie möchten uns nichts wegnehmen. Wir müssen bereit sein, etwas zu geben, für ein kleines Stückchen Hoffnung“.
Gustaf Jasper und Finn Rengbers, Schüler des Ostendorf-Gymnasiums, hatten ebenfalls eine eindrucksvolle Rede vorbereitet: Die Schüler betonten, wie wichtig ihnen ein „buntes, vielfältiges und friedliches“ Europa ist. Sie forderten von der Politik: „Europa darf noch besser werden“. Der Weihnachtswunsch der Schüler: „Wir hoffen auf drei Sterndeuter, die den Weg für ein friedliches Europa deuten“.
Die Weihnachtsgeschichte nahm auch Pfarrer Thomas Wulf zum Anlass, über Flucht nachzudenken: Der fehlende Platz in der Herberge – es sei ein Satz, der oft überlesen werde. Die Weihnachtsbotschaft dürfe nicht in Romantik stecken bleiben. Sie müsse „mitten ins Herz“ treffen, dazu beitragen, sich „für Menschen einzusetzen, die Not leiden“.
Berührende Worte richtete Mostafa Khatib, Schüler des Gymnasiums Schloss Overhagen, an die Zuhörer: der junge Mann aus Syrien berichtete vom Leben auf der Flucht, davon die Heimat zu verlassen, von der Angst auf dem Weg zu sterben, die Mutter nicht sehen zu können. Er berichtete aber auch von der Hoffnung, die ihm das Leben in Deutschland schenkt. „Ich darf hier leben. Gott sei Dank“.
Ebenso eindrucksvoll erinnerte Dr. Manuel Schilling, Superintendent im Kirchenkreis Soest-Arnsberg, mit einem e-Mail-Schriftwechsel aus dem Dezember an das Schicksal einer siebenköpfigen Flüchtlingsfamilie aus dem Irak – eine Geschichte voller „Elend, Angst, Vereinsamung, Sorge“. Fünf Jahre lang von Land zu Land gereicht, erschien ihnen die Aussicht wieder zurück in die vom Krieg zerstörte Heimat zu gehen besser, als die Aussicht auf ein Leben im Kirchenasyl, die letzte Hoffnung. „Ich schäme mich für mein Land“, so Schilling.
Ein Grußwort des Evangelischen Gymnasiums überbrachte Diakoniepfarrer Peter Sinn: Die Schüler erinnerten an Menschenrechte und -würde: „Wir können Leben retten und beim Leben helfen“, schrieben die Schüler des Religionskurses in ihrem Brief.