Der vorliegende Artikel wird mit freundlicher Genehmigung des Autors, Hans-Albert Limbrock, veröffentlicht. Erschienen ist der Artikel in der Zeitung Unsere Kirche, Ausgabe 53/1 – 27.12.2020
„Ich schäme mich für unser Land“
Gedenkfeier für im Mittelmeer ertrunkene Flüchtlinge auf dem Lippstädter Rathausplatz
Von Hans-Albert Limbrock
LIPPSTADT – Eigentlich eine unfassbare Vorstellung: Für jeden im Mittelmeer ertrunkenen Menschen eine Zeitungsseite; gefaltet zu einem Papierbötchen. 1319 dieser Bötchen liegen dicht an dicht auf dem Lippstädter Rathausplatz. Mit dieser Gedenkaktion, die unter dem Motto steht „Man lässt keine Menschen ertrinken. Punkt“, will die Evangelische Frauenhilfe zum Tag der Menschenrechte gegen die inhumane europäische Flüchtlingspolitik und das Schicksal der vielen Flüchtlinge aufmerksam machen, die den gefährlichen Weg über das Mittelmeer nach Europa wagen.
Die Zahl 1.319 sind die offiziell für dieses Jahr von der UN angegebenen, ertrunkenen Menschen im Mittelmeer. Die tatsächliche Zahl dürfte viel höher liegen, denn die Schlepper lassen natürlich nicht ihre Boote registrieren und geben auch nicht die Zahl der Flüchtenden an, die sich in die Boote zwängen.
Die Gedenkfeier im Schatten der Marienkirche hatte das Lippstädter Netzwerk für Frieden und Solidarität organisiert. Neben Superintendent Dr. Manuel Schilling, Dechant Thomas Wulf, dem stellvertretenden Bürgermeister Franz Gausemeier, Diakoniepfarrer Peter Sinn und Diakoniepfarrerin i.R. Margot Bell nahmen auch Schülerinnen und Schüler des Ostendorf-Gymnasiums sowie des Evangelischen Gymnasiums teil.
„Europa schaut zu, macht die Grenzen dicht und ignoriert die Pflicht zur Seenotrettung“, kritisierte Bell in ihrer Ansprache. Ihr Credo: „Solange tagtäglich Menschen im Mittelmeer sterben, müssen Zivilgesellschaft und Kirchen das Versagen der europäischen Staaten anklagen und so viele Menschen wie möglich aus dem Mittelmeer retten.“
Peter Sinn rief die Teilnehmer zu einer Gedenkminute auf: „Diese Schiffe hier sind Zeugen der Trauer und der Anteilnahme Vieler an dem Tod dieser Menschen.“
Bewegendes berichtete Superintendent Schilling aus den letzten Tagen. Elisabeth Patzsch, die Flüchtlingsberaterin des Kirchenkreises, war auf der Suche nach einem Kirchenasyl für eine siebenköpfige irakische Familie endlich fündig geworden. Doch an dem Tag, als die Familie eigentlich aus einer Zentralen Unterbringungseinrichtung (ZUE) nach Marsberg gebracht werden sollte, erreichte sie die Nachricht, dass die Familie nach nunmehr fünf Jahren Flucht und Ungewissheit nicht mehr die Kraft habe, um sich für mehre Monate ins Kirchenasyl zu begeben.
Ein sichtlich bewegter Superintendent formulierte mit hörbarer Wut in der Stimme: „Es ist unfassbar. Lieber geht die Familie zurück in den Irak, wo sie um Leib und Leben fürchten muss, als länger Schutz in Europa zu suchen: „Ich schäme mich für unser Land. Schande über uns.“