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Weihnachten – Eine Fluchtgeschichte

Allen Mitgliedern des Lippstädter Netzwerks, allen Unterstützenden, allen an unserer Arbeit Interessierten möchten wir an dieser Stelle DANKE sagen und Euch und Ihnen allen ein gesegnetes Weihnachtsfest und ein gutes Neues Jahr 2025 in Frieden und Gesundheit wünschen.

Weihnachten ist auch eine Zeit, zu reflektieren: was ist eigentlich damals geschehen und wie sehen Parallelen der biblischen Geschichte heute aus?

Wir möchten dazu eine Geschichte aus dem online-Magazin „MiGAZIN“, geschrieben von Miriam Rosenlehner, veröffentlicht am 18.12.2022, an dieser Stelle wiedergeben:

Eine Weihnachtsgeschichte

Christlich-abendländische Flüchtlingspolitik? Die Weihnachtszeit eignet sich besonders, unsere Werte mit unseren Handlungen zu vergleichen.

Das Jahr neigt sich dem Ende entgegen. Christen und viele Nichtchristen bereiten sich auf Weihnachten vor. In meiner internationalen Klasse lasen wir ein Gedicht über den Stern von Bethlehem. Die wenigsten Kinder kannten die Geschichte.

Sie handelt von Maria und Josef. Von einer schwangeren jungen Frau und ihrem Begleiter auf der Flucht. Sie fliehen vor unhaltbaren Verhältnissen. Sie müssen an viele Türen klopfen, bevor einer die beiden wenigstens in seinem Stall übernachten lässt. Dort, zwischen den Tieren, bringt Maria ihr Kind zur Welt, alleine, in der Fremde.

Der Sohn des christlichen Gottes ist ein Fliehender, noch bevor er geboren wird. Er ist, was wir heute randständig nennen würden. Ein hilfloses Kind, seiner Rechte beraubt, unwillkommen, völlig mittellos, ohne Anspruch auf Hilfe und ausgeliefert. In der Geschichte geht über dem Stall ein besonderer Stern auf. Dem folgen die „drei Weisen aus dem Morgenland“ und finden Jesus.

Die Kinder meiner Klasse hören mir zu, als ich diese Geschichte in kindgerechte Worte fasse, während uns der Schein der feuersicheren Lichterkette bestrahlt. Ich versuche in ihren Gesichtern zu lesen, was bei dieser Geschichte in ihnen vorgeht.

Das Morgenland beschäftigt sie. Wo genau ist das, wo diese Weisen herkommen? Morgen ist dort, wo die Sonne aufgeht. Im Osten von Jesus aus gesehen. Wir nehmen eine Landkarte zu Hilfe. Man vermutet heute, dass die Weisen aus Persien kamen. Sie kamen von weither – und wohin waren sie unterwegs? Bethlehem liegt heute in Israel. Jesus war also keiner von hier.

Als diesen Kindern klar wird, dass die Geschichte nicht in Europa spielt, dass Jesus einer wie sie gewesen sein muss, erlebt man, wie den jungen Menschen ein Licht aufgeht: Die Erkenntnis, dass das westliche Christentum eine Geschichte erzählt, die von einem Fliehenden handelt. Die Erkenntnis, dass Jesus nicht weiß gewesen sein kann, auch wenn er in unserer Version immer so blond daherkommt. Die Erkenntnis, dass die christlich-abendländische Kultur gar nicht so abendländisch begann. Die Erkenntnis, dass Flucht, Vertreibung und Fremdsein der Kern der Geschichte ist.

Man muss gar kein Christ sein, um die Botschaft der Weihnachtsgeschichte zu verstehen. Sie bietet auch viel Interessantes für Gesellschaftswissenschaftler.

Auch heute sind Fliehende nicht willkommen. Flüchtlingsunterkünfte am Rande von Europa sind in einem Zustand, dass man sich den guten alten Stall zurückwünscht. Gerade die Länder in der EU, die auf ihr christlich-abendländisches Erbe pochen, verschließen ihre Türen wie die, die in der Weihnachtsgeschichte ihre Türen vor Maria und Josef verschlossen.

Während wir die Plätzchen in die heiße Schokolade stippen, ertrinken Menschen im Mittelmehr oder erfrieren im Niemandsland an europäischen Außengrenzen. Private Retter werden vor Gericht gestellt und ihre Schiffe werden festgesetzt, während wir unsere Hände in Unschuld waschen. Schiffe mit Fliehenden erhalten keine Landeerlaubnis, während an Bord Menschen sterben.

Illegale Pushbacks, also das gewaltsame Zurückbringen von Fliehenden über die EU-Außengrenze, kommen in den Nachrichten eher selten vor. Die Praxis sei unbewiesen, heißt es. Auch wenn Borderviolence die bereits eintausendste Aussage von Betroffenen über das Unrecht aufgenommen hat: Wir glauben ihnen nicht.

Vor kurzem schaffte es das Handyvideo einer Gruppe Fliehender in die Tagesschau. Sie hatten versucht, über die bulgarische Grenze in die EU einzureisen, als Schüsse fielen. Ein junger Mann wurde in die Brust getroffen. Er überlebte und die Presse traf ihn wenig später zum Interview.

Ungläubig sieht der junge Mann in die Kamera und sagt: „Ich hätte nie gedacht, dass auf mich geschossen wird, in einem Land, das sich europäisch nennt.“

Was der 19-jährige Junge da formuliert, zeigt unser ganzes Dilemma. Unsere Werte passen einfach nicht zu unseren Handlungen. Zumindest nicht, wenn die Fliehenden aussehen, wie Jesus vermutlich aussah oder aus der Weltgegend kommen, aus der er vermutlich stammte.

Weihnachten ist kein Fest, das Populismus Raum bietet – es transportiert die klare Botschaft der Mitmenschlichkeit als Auftrag an uns. Es ist wichtig, gerade jetzt, wo wir uns zu Weihnachten im Wahlkampf befinden, daran zu erinnern, dass in der Flüchtlingsfrage uns das Schicksal von „Mit-Menschen“ an die Hand gegeben ist. Wo auch immer wir im demokratischen politischen Spektrum uns befinden, welche unterschiedlichen Lösungen für die Migrationsprobleme unserer Zeit wir auch anbieten, wir sollten die Mitmenschlichkeit nie aus den Augen verlieren; weder als Christen, noch als Humanisten.

Derzeit tourt die Deutschrockband „Karat“ durchs Land. Als Zugabe spielen sie „König der Welt„. Eine Textzeile aus diesem Lied ist besonders prägnant für das Thema Weihnachten als Fest der Liebe einerseits und Migration als Gegenstand von Hass- und Hetzpropaganda andererseits: „König der Welt ist das Herz, das liebt … und soll Dein Herz selbst ein König sein – dann liebe“!

Insbesondere von der AfD wird eine kulturelle Kluft zwischen dem christlichen Abendland und dem muslimischen Morgenland inszeniert, als sei es quasi genetisch unveränderbar festgelegt. Deshalb möchten wir auch gerne auf den Beitrag im MiGAZIN hinweisen, in dem es um die Bedeutung der Weihnachtsgeschichte für Muslime und um die Verehrung Marias im Islam geht: Jesus ist im Koran mehr als ein Prophet.

In unserer pluralistischen Gesellschaft sollten wir wieder lernen, mehr die Gemeinsamkeiten hervorzuheben, als das Trennende ungerechtfertigter Weise in den Vordergrund zu schieben.

In diesem Sinne noch einmal ein frohes Fest und einen guten Rutsch!